Das Regenorchester by Hansjörg Schertenleib
Autor:Hansjörg Schertenleib [Schertenleib, Hansjörg]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau
veröffentlicht: 2014-09-05T22:00:00+00:00
ZWÖLF
Das CROWS NEST lag wenige Kilometer außerhalb Rosses Point auf der äußersten Spitze der Landzunge. Vor dem Fenster unseres Zimmers breitete sich der Atlantik aus, linker Hand schoben sich blau die Berge Mayos aus dem Dunst, vor uns war nichts als offenes Meer, eine schaukelnde, blitzende Fläche. Der Horizont war nicht festzulegen, Himmel und Wasser flossen nahtlos ineinander über, täuschten das Auge. Wir lehnten nebeneinander im Fenster, ich kam mir vor wie auf einem Sprungbrett, unter uns Felsen, glatt poliert vom ewigen Schlag der Wellen. Salzige Gischtfahnen stiegen auf, vom Wind übers Land geweht.
– Hast du gewusst, dass man die Leichen ertrunkener Seeleute immer stehend findet? Sie stehen auf dem Grund des Meeres! Die meisten Fischer können übrigens gar nicht schwimmen. Es ist besser, sofort unterzugehen und die Sache so schnell wie möglich hinter sich zu bringen!
Das Brausen der Brandung schien als feine Erschütterung durch die Felsen und das grasgepolsterte Plateau zu gehen, auf dem das B & B stand, und sich bis in die Mauern des Hauses fortzusetzen. Eine Möwe ließ sich vom Aufwind senkrecht in die Höhe tragen, kippte seitlich weg und verschwand wie ein geworfener Stein zwischen den Klippen.
– Hast du schon einmal von den Iks gehört? fragte Niamh.
– Iks? Nein.
– Ein Stamm in Uganda.
Lichtbahnen glitten über das Wasser; wo Böen darüber gingen wie Pinselstriche, war es geriffelt, in milder Aufruhr.
– Uganda ist in Afrika.
– Ich weiß, wo Uganda ist, Niamh.
– Die Iks waren zuerst Jäger, dann wurden sie Farmer. Schlechte Farmer. Es dauerte nicht lang, dann hungerten sie. Willst du wissen, wie sie das Problem gelöst haben?
– Sie sind wieder Jäger geworden?
– Die Iks haben ihre Alten getötet. Und weil das grausam ist, haben sie ein Ritual daraus gemacht. Sie haben ihre Großeltern von den Klippen gestoßen. Kannst du dir das vorstellen? Das hier wäre der ideale Ort dafür.
– Denkst du, er hat uns geglaubt, dass ich dein Sohn bin?
– Spielt das eine Rolle? Wir haben das letzte Zimmer gekriegt!
– Schnarchst du?
– Like a sailor! Du knirschst bestimmt mit den Zähnen.
– Also: Wer ist Brendan?
– Sollen wir uns in den Garten setzen?
– Wer ist Brendan, Niamh?
– Wir setzen uns auf dein Bett, hier haben wir wenigstens unsere Ruhe, nicht? Was denkst du? Oder sollen wir einen Pub suchen?
– Jetzt erzähl endlich!
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